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Kapillarität: Die wichtigsten Fakten
- Aufsteigende Feuchtigkeit: Kapillarität ist der primäre Effekt, durch den Wasser aus dem Erdreich entgegen der Schwerkraft in das Mauerwerk gesaugt wird.
- Gravierende Bauschäden: Dieser Wassertransport führt zu massiven Folgeschäden wie Putzabplatzungen, gesundheitsschädlichem Schimmel und teuren Frostschäden.
- Wirksame Horizontalsperre: Die effektivste Gegenmaßnahme ist eine kapillarbrechende Schicht (Horizontalsperre), die den Wasserfluss unterbricht und das Gebäude schützt.
Was ist Kapillarität? Einfach erklärt für den Bau
Haben Sie sich jemals gewundert, warum ein Stück Zuckerwürfel, das man nur leicht in den Kaffee tunkt, sich in Sekundenschnelle vollständig vollsaugt? Oder warum die Tinte aus einem Füller wie von selbst auf das Löschpapier fließt? Genau dieses Phänomen, das Flüssigkeiten dazu bringt, in engen Röhren oder feinen Spalten entgegen der Schwerkraft aufzusteigen, nennt man Kapillarität. Am Bau ist dieses Prinzip allgegenwärtig, nur dass es hier nicht um Kaffee oder Tinte geht, sondern um Wasser – und die feinen Röhrchen sind die unzähligen Poren und Hohlräume in Baustoffen wie Ziegel, Beton oder Putz. Während dieser Effekt in der Natur lebensnotwendig ist, um beispielsweise Bäume mit Wasser zu versorgen, ist er für ein Gebäude oft der Anfang eines ernsthaften Problems. Die Kapillarität ist eine unsichtbare Kraft, die Feuchtigkeit aus dem Erdreich regelrecht in das Mauerwerk hineinziehen kann und so die Bausubstanz schleichend, aber nachhaltig schädigt.
Wie entsteht der Kapillareffekt in Baustoffen?
Der Kapillareffekt basiert auf dem Zusammenspiel zweier physikalischer Kräfte: Adhäsion (Anhangskraft) und Kohäsion (Zusammenhangskraft). Wasser hat die Eigenschaft, an anderen Oberflächen haften zu wollen (Adhäsion) und gleichzeitig an sich selbst zu „kleben“ (Kohäsion). In den feinen Poren eines Baustoffs zieht die Adhäsionskraft die Wassermoleküle an den Porenwänden nach oben. Die Kohäsionskraft sorgt dafür, dass weitere Wassermoleküle nachgezogen werden. Dieser Prozess setzt sich fort und lässt das Wasser im Mauerwerk immer weiter aufsteigen, bis die Schwerkraft stärker ist als die Kapillarkräfte. Die Höhe und Geschwindigkeit dieses Wassertransports hängen von mehreren Faktoren ab, allen voran von der Porenstruktur des Materials.
- Porengröße: Je feiner die Poren und Kapillaren im Baustoff sind, desto höher kann das Wasser aufsteigen. Materialien wie Ziegel oder Kalksandstein haben eine ausgeprägte Porenstruktur und sind daher besonders anfällig.
- Materialart: Jeder Baustoff besitzt eine andere Saugfähigkeit. Während dichte Materialien wie Schaumglas oder bestimmte Kunststoffe kaum kapillaraktiv sind, wirken poröse, mineralische Baustoffe wie ein Docht.
Unerwünschte Folgen: Typische Bauschäden durch Kapillarität
Wenn Wasser unkontrolliert durch Kapillarität in die Bausubstanz eindringt, sind die Folgen fast immer gravierend und kostspielig. Ein Bausachverständiger wird oft erst dann gerufen, wenn die Schäden bereits sichtbar sind. Die Feuchtigkeit allein ist schon ein Problem, doch sie bringt eine ganze Kette von Folgeschäden mit sich, die die Stabilität und den Wert eines Gebäudes massiv beeinträchtigen können. Die häufigsten Schadensbilder, die auf eine unkontrollierte Kapillarwirkung zurückzuführen sind, umfassen:
- Feuchte Wände und Abplatzungen: Das offensichtlichste Anzeichen sind feuchte Flecken, die vom Boden aufsteigen. Das Wasser transportiert gelöste Salze aus dem Erdreich und dem Baumaterial an die Oberfläche. Wenn das Wasser verdunstet, kristallisieren die Salze aus (Salzausblühungen), sprengen durch ihre Volumenvergrößerung Putz und Farbe ab und zerstören die Oberflächen.
- Schimmelbildung: Wo Feuchtigkeit ist, lässt Schimmel nicht lange auf sich warten. Nasse Wände bieten einen idealen Nährboden für gesundheitsschädliche Schimmelpilze, was zu einem ungesunden Wohnklima und ernsthaften gesundheitlichen Risiken für die Bewohner führt.
- Frostschäden: Dringt Wasser in die Poren der Außenfassade ein und gefriert im Winter, dehnt es sich um etwa 10 % aus. Diese Eiskristalle erzeugen einen enormen Sprengdruck, der die Materialstruktur von innen heraus zerstört und zu Abplatzungen und Rissen führt.
- Verschlechterung der Dämmwirkung: Ein feuchter Baustoff leitet Wärme wesentlich besser als ein trockener. Die Dämmleistung einer durchnässten Wand kann um über 50 % sinken, was unweigerlich zu höheren Heizkosten führt.
Kapillarität gezielt unterbrechen: Funktion und Methoden der Horizontalsperre
Die wirksamste Methode, um kapillar aufsteigende Feuchtigkeit zu stoppen, ist die Installation einer kapillarbrechenden Schicht, auch Horizontalsperre genannt. Diese Schicht unterbricht die feinen Poren im Mauerwerk und bildet eine unüberwindbare Barriere für das Wasser. Im Neubau ist eine solche Sperre standardmäßig vorgeschrieben und wird meist in Form von robusten Folien oder Bitumenbahnen ausgeführt. Bei der Sanierung von Altbauten, bei denen eine solche Sperre oft fehlt oder defekt ist, muss sie nachträglich eingebracht werden. Dafür haben sich verschiedene Verfahren etabliert:
- Mechanische Verfahren: Hierbei wird das Mauerwerk schrittweise aufgesägt oder aufgestemmt, um Edelstahlbleche oder Kunststoffplatten direkt in die Lagerfuge einzutreiben. Dieses Verfahren ist äußerst wirksam, aber auch sehr aufwendig und erschütterungsintensiv.
- Chemische Injektionsverfahren: Dieses ist das gängigste Verfahren in der Sanierung. Dabei werden in regelmäßigen Abständen Bohrlöcher in das Mauerwerk gesetzt und mit einer speziellen Flüssigkeit (z.B. auf Silan- oder Silikonharzbasis) gefüllt. Diese Flüssigkeit verteilt sich in den Poren, reagiert dort und bildet eine wasserabweisende (hydrophobe) Zone, die das Aufsteigen von Wasser blockiert.
- Elektrophysikalische Verfahren: Mittels Anlegen einer schwachen elektrischen Spannung (Elektroosmose) soll der Wassertransport im Mauerwerk umgekehrt werden. Die Wirksamkeit dieser Methode ist in der Fachwelt jedoch umstritten und wissenschaftlich nicht eindeutig belegt.
Die Rolle der Kapillarität bei der Materialauswahl und Planung
Ein vorausschauender Planer oder ein kompetenter Bausachverständiger denkt nicht nur an die Behebung von Schäden, sondern vor allem an deren Vermeidung. Das Wissen um die Kapillarität ist bereits in der Planungsphase eines Neubaus oder einer Sanierung von entscheidender Bedeutung. Die bewusste Auswahl von Baustoffen mit geringer oder keiner kapillaren Saugfähigkeit in kritischen Bereichen, wie dem Sockel oder dem Keller, ist ein fundamentaler Baustein für ein langlebiges und trockenes Gebäude. Materialien wie Schaumglasschotter oder bestimmte XPS-Dämmplatten sind von Natur aus kapillarbrechend und eignen sich hervorragend für den erdberührten Bereich.
Baustoff | Kapillare Wasseraufnahme | Praxisrelevanz für den Bau |
---|---|---|
Porenbeton | Sehr hoch | Hohe Anfälligkeit, benötigt zwingend eine funktionierende Abdichtung |
Ziegelmauerwerk | Hoch | Klassischer Fall für aufsteigende Feuchte in Altbauten |
Kalksandstein | Mittel bis hoch | Dichte Struktur, aber feine Poren ermöglichen hohe Steigwirkung |
Normalbeton | Gering bis mittel | Weniger anfällig als Ziegel, aber nicht vollständig kapillarbrechend |
Schaumglas / XPS | Nahezu null | Ideal als kapillarbrechende Schicht unter der Bodenplatte oder im Sockelbereich |
Die richtige Planung des Sockelputzes, die korrekte Ausführung von Abdichtungen und die Auswahl der passenden Dämmstoffe sind allesamt Maßnahmen, die dem Prinzip der Kapillarität Rechnung tragen. Ein fachmännischer Blick auf diese Details kann Bauherren vor immensen Folgekosten und Ärger bewahren und sorgt für eine dauerhaft trockene und werthaltige Immobilie.
Häufige Fragen zur Kapillarität
Was bedeutet „kapillarbrechend“?
Ein Material oder eine Schicht wird als „kapillarbrechend“ bezeichnet, wenn es keine feinen Poren besitzt, in denen Wasser aufsteigen kann. Es unterbricht somit den Wassertransport und wird als Horizontalsperre gegen aufsteigende Feuchtigkeit eingesetzt.
Welche Baustoffe saugen besonders stark Wasser an?
Besonders stark saugende (kapillaraktive) Baustoffe sind poröse Materialien wie Ziegel, Porenbeton und viele Natursteine wie Sandstein. Ihre offene Porenstruktur wirkt wie ein Docht für Wasser aus dem Erdreich.
Wie erkenne ich kapillar aufsteigende Feuchtigkeit in meinem Keller?
Typische Anzeichen sind dunkle, feuchte Flecken, die vom Boden ausgehend an den Wänden hochziehen. Oft gehen damit Salzausblühungen (weiße, kristalline Ablagerungen) und abplatzender Putz oder Farbe einher.